In der Frühzeit Neuenhains war das kirchliche Leben nach Sulzbach ausgerichtet. Um 1290 wird der Bau einer eigenen Kapelle in Neuenhain vermutet und 1326 wurde Neuenhain selbständige Pfarrei. Die Reformation wurde um 1535 mit lutherischem Bekenntnis eingeführt. Unter Pfalzgraf Johann Casimir, wurde Neuenhain calvinistisch (reformiert). Nach verschiedenen Konfessionswechseln wurden am Ende des 30jährigen Krieges alle Bekenntnisse wiederhergestellt. Der sog. „Bergsträßer Rezess“ vom 24. September 1650, hielt jedoch fest, dass die reformierte Gemeinde in ihren Rechten unangetastet blieb. Dies war die Grundlage für die gemeinsame Kirchenbenutzung bis zum Jahr 1912. Kurmainz richtete 1652 in Neuenhain wieder eine katholische Pfarrei ein und so diente auch das neue Gotteshaus als Simultankirche zwei Konfessionen.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts war die alte Kirche baufällig und die Einwohnerzahl war gestiegen. Als 1762 Steine von der Fassade herunterstürzten, wurde im April der Glockenturm und im Mai die übrige Kirche niedergelegt. Der Rohbau ging schnell voran. Zwei Dinge verzögerten den Bau. Zum einen war die Finanzierung des Neubaus strittig, zum anderen verhinderte Amtmann Veit Gottfried Straub durch Veruntreuung einen zügigen Abschluss des Baus. Im Mai 1767 wird der Grundstein gelegt, die Maurerarbeiten waren im Herbst 1767 abgeschlossen und im Dezember 1768 wurden auf den Turm bereits das Kreuz und der Turmhahn aufgesetzt. Am 20. Januar 1771 bekam der katholische Pfarrer von höchster Stelle den Befehl, die Kirche am 24. Januar 1771 einzuweihen. Die reformierte Gemeinde hatte drei Tage länger Zeit. Da der 27. Januar 1771 ein Sonntag war, feierten wohl über 1000 Menschen dieses Ereignis. Im Gegensatz zur feierlichen Einweihung stand das Innere der Kirche. Es standen noch die Baugerüste, es gab weder Kanzel noch Altar, weder Orgel noch Gestühl.
Erst 1802 bekam die Kirche durch einen Gönner der reformierten Gemeinde eine gebrauchte Kanzel und 24 Bänke aus dem Bestand der französischreformierten Gemeinde in Frankfurt. Der Glockenturm der Kirche hat kein Fundament, sondern ist im Dachgebälk verankert. Die Kirche ist im Innenraum ca. 9,50 m hoch und außen sind es bis zur Turmspitze ca. 30 m. Im Chor stand der Hochaltar (ursprünglich aus der Dominikanerkirche in Frankfurt) der 1912 nach Vollendung der katholischen Kirche dort aufgestellt wurde. Die entstandene Lücke wurde beim Bau der neuen Orgel im Jahr 1912 durch die Orgelbaufirma Friedrich Weigle mit einem verbreiterten Orgelgehäuse gefüllt. Mit der Nassauischen Union von 1817 waren Lutheranern und Reformierte zu einer evangelischen (unierten) Gemeinde zusammengeschlossen. Die erste Orgel unserer Kirche war bereits 1812/13 auf der Empore eingebaut worden. Die Empore war nur den Männern vorbehalten; Frauen, Mädchen und Kinder saßen unten. Durch einen Holzfußboden unter den Bänken, durch den Windfang an der Eingangstür und den Verschlag um den Treppenaufgang zum Kirchenspeicher wurde es dort etwas wärmer. Die erste Heizung wurde erst 1926 als Kohleheizung eingebaut. Später wurde diese durch Ölbefeuerung abgelöst, bevor 2010 eine Gasheizung den Dienst übernahm.
1851 hat der bereits 1847 erworbene heutige Altar aus Vilmarer schwarzem Marmor den alten Kirchentisch abgelöst. Die ersten Glocken hielten bis 1833, dann waren sie gesprungen. Die Nachfolgerinnen mussten wiederum 1871/72 ersetzt werden. Die große Glocke wurde in den beiden Weltkriegen eingeschmolzen und jeweils 1921 und 1951 ersetzt und feierlich per Muskelkraft in den Kirchturm gezogen. Im Jahr 1967 musste der Kirchturm versteift werden, weil er unter der Glockenlast litt und 1976 drohte kurzzeitig die Stilllegung, da die Aufhängungen unsicher geworden waren. Wurden die Glocken in der Vergangenheit noch mit einem Seil geläutet, so werden sie heute durch eine automatische Läuteanlage und die Läutemotoren in Betrieb gesetzt. Die erste Turmuhr war von mind. 1872 bis 1984 in Betrieb. Im Jahre 1984 wurde das alte Uhrwerk ausgebaut und eine vollautomatische Turmuhr übernahm fortan die Zeitmessung und den Stundenschlag. Am 28. Juli 1912 hatte die katholische Kirchengemeinde ihr neues Gotteshaus geweiht. Damit war die gemeinsame Nutzung der Kirche zu Ende gegangen. Die nun evangelische Kirche wurde daraufhin renoviert und an die Stelle des Hochaltars trat die erweiterte Orgel. Unter Einbeziehung der alten 100jährigen Orgel wurde die jetzige pneumatische Orgel erbaut. Der Spieltisch der Orgel stand ursprünglich in der Mitte hinter dem Altar. Er wurde erst bei einer Groß-Sanierung im Jahr 2000 an die Seite gestellt und mit zusätzlichen pneumatischen Aggregaten zur Übertragung ausgestattet.
Bis 1957 war die Kirche noch ausgemalt. In den Fensterlaibungen waren Ornamente zu sehen, die den seitlichen Ornamenten an der Orgel ähnlich scheinen. In der die Wölbung zwischen Wänden und Decke (Voute) fand sich eine Rokokobemalung, deren Reste heute noch hinter der Tür zum Glockenturm sichtbar sind. Dahinein waren offenbar einige Bilder aus dem Leben Jesu und der Apostel gemalt. Über der Rosette fand man eine Darstellung der Trinität als Dreieck mit einem Auge darin. Die Rosette selbst war (1836 neu verglast) mit bunten Scheiben ausgestattet, in der Art einer Windrose. Bei der Renovierung 1957 wurden dann aber wabenförmige helle Scheiben in das Chorfenster eingesetzt, Bemalungen an den Wänden und in den Fensterlaibungen beseitigt, und alle Flächen in einer Tönung von aufeinander abgestimmten Pastellfarben angelegt. Auf dem Altar behielt man links und rechts des Kreuzes (mit einem historischen Korpus aus dem 18. Jahrhundert) noch die Tafeln der Kriegstoten des 1. Weltkriegs. Bei einem Fliegerbombenabwurf über Neuenhain im Februar 1945 wurden die Fenster der Kirche stark beschädigt und erst 1947 repariert. In den 250 Jahren mussten immer wieder Renovierungen vorgenommen werden, z.B. 1834 (Ausweißung) und 1949 (Dachrinne und Kirchendecke).
Die großen Renovierungen (1913, 1957 und 1990), so zeigen es die Akten, bewegten sich immer im Spannungsfeld zwischen ästhetischen und denkmalpflegerischen Perspektiven, den Finanzierungsfragen und der praktischen Nutzung der Kirche. Bei der großen Renovierung im Jahr 1957 wurde auch der Turm renoviert und bekam einen neuen Hahn als Wetterfahne. Eine weitere Renovierung des Turmes und eine Sanierung der Außenfassade erfolgten 1987/88, bevor im Jahr 1990 die bislang letzte große Innenrenovierung stattfand. Im Jahr 2006 musste schließlich das Dach saniert werden.
Im Laufe von 250 Jahren hat diese Kirche unzählige Menschen zu den verschiedensten Anlässen gesehen. Neben den Sonntagsgottesdiensten wurden dabei die Feste des Kirchenjahres, Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Konfirmationen gefeiert. In den Kirchenbüchern sind ganze 3700 Konfirmierte mit Namen verzeichnet. Seit vielen Jahrzehnten feiern Menschen in dieser Kirche auch ökumenisch, z.B. den Weltgebetstag, das Abendgebet am Mittwochabend oder die Sodener Passion. Nicht zu vergessen ist schließlich die Musik, die in unserer Kirche mit ihrer tollen Akustik besonders schön erklingen kann. Die Orgel, Chöre (der Kirchenchor feiert in diesem Jahr sein 100jähriges Bestehen) und Orchester, Gemeindegesang und Konzerte, Musik aus der Gemeinde und Gastauftritte fremder Künstler bringen das Lob Gottes auf vielfältige Weise zum Klingen. Seit 1771 sind gerade mal 11 Pfarrer auf die ursprüngliche Pfarrstelle (heute Pfarrstelle I) berufen worden. Damit waren sie im Durchschnitt fast 23 Jahre in Neuenhain im Dienst. Auf der Pfarrstelle II (seit 1983) waren und sind es 7 Pfarrerinnen und Pfarrer.
In der Vergangenheit sind die Kirchenjubiläen auf verschiedene Arten gefeiert worden: Im Jahr 1971 gedachte man des 200jährigen Jubiläums der Kirche mit einer ökumenischen Andacht und mit einem kunsthistorischen Festvortrag. Im Jahr 1996 gab es einen Festgottesdienst, eine Feierstunde zum 225jährigen Jubiläum und einen Neuenhainer Abend mit einem Vortrag, der. u.a. als Quelle für diese Darstellung dient. Das 250jährige Jubiläum in diesem Jahr stand und steht auch im Zeichen der Corona-Pandemie. Dass wir diesen nun unter den gegebenen Bedingungen rund um den Reformationstag feiern können, ist ein Grund zur Freude.
Wir besitzen mit unserer Kirche ein wunderbares Bauwerk, ein großartiges Kulturdenkmal, eine Kirche aus dem Spätbarock mit Wiedererkennungswert v.a. durch das Portal, den Blendgiebel und das geschmiedete Kirchhoftor aus dem 18. Jahrhundert. Wir sind auf verschiedene Weise mit dieser Kirche verbunden und haben unsere eigenen Erinnerungen an besondere Zeiten. Entscheidend ist aber, dass wir uns in unserer Kirche gemeinsam auf Gott besinnen und ihm und den Menschen begegnen. Das Gotteslob steht an erster Stelle, wie es auf unserem Altar, dem Gesang der Weihnachtsengel entnommen, eingraviert ist: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen.“
Jan Spangenberg